Gegen die „Präventiophobie“

Felix Burda starb mit 33 Jahren an Darmkrebs. Seine Mutter, Dr. Christa Maar, setzt sich seitdem mit der Felix Burda Stiftung dafür ein, dass anderen Menschen dieses Schicksal erspart bleibt. (© Felix Burda Stiftung)

Frau Dr. Maar, Sie und Ihr ehemaliger Mann Hubert Burda haben im Jahr 2001 die Felix Burda Stiftung gegründet. Wie nah sind Sie Ihren Zielen seitdem gekommen?
Dr. Christa Maar: Unsere erste Forderung ging bereits ein Jahr nach der Stiftungsgründung in Erfüllung: Im Oktober 2002 wurde die Vorsorge­koloskopie gesetzliche Leistung für alle Versicherten über 55 Jahre. Seitdem haben rund 7,5 Millionen Menschen an dieser Präventionsmaßnahme teilgenommen. Dadurch wurden bis heute 139.000 Todesfälle und 290.000 Neuerkrankungen verhindert. Das ist zwar ein schöner Erfolg, aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Denn noch immer gibt es pro Jahr circa 60.000 Neuerkrankungen und etwa 24.000 Menschen sterben an diesem Krebs, der sich durch Vorsorge nahezu vollständig verhindern ließe.

Der Anspruch auf die Vorsorgekoloskopie für Männer wurde seitdem um fünf Jahre vorverlegt. Heute zahlen die Krankenkassen ab dem 50. Lebensjahr eine Darmspiegelung oder einen immunologischen Stuhltest. Reicht das?
Dr. Christa Maar: Was weiterhin fehlt in Deutschland ist die risikoangepasste Darmkrebsvorsorge für Menschen unter 50 Jahren. Wer ein familiär erhöhtes Risiko hat, wie bei unserem Sohn Felix, ließe sich leicht durch die regelhaft erhobene Familienanamnese feststellen, die den Ärzten vergütet werden müsste. Dies geschieht gegenwärtig nicht. Ebenso wenig haben Betroffene mit familiärem Risiko den Anspruch auf eine altersunabhängige Vorsorgekoloskopie. Denn wer einen erblichen Krebs in der Familie hat, muss damit rechnen, dass die Erkrankung eventuell schon im frühen Erwachsenenalter auftritt und sollte deshalb unter Umständen bereits ab dem Alter von 25 Jahren Vorsorge­untersuchungen durchführen lassen.

Die Vorsorgezahlen sind immer noch niedrig. Woran liegt das?
Dr. Christa Maar: Eine Studiengruppe der Hochschule Fresenius hat jüngst eine Befragung zu den Gründen für die Nicht-Teilnahme durchgeführt. Als häufigster Grund wurde genannt: „Weil ich keine Probleme mit dem Darm habe.“ Das zeigt, dass trotz aller Aufklärung noch immer nicht verstanden wurde, dass Vorsorge bedeutet, dass man nicht mit, sondern ohne Symptome zur Untersuchung geht, und dass im Zweifel die Angst vor der Darmspiegelung überwiegt. Hier setzt unsere diesjährige Werbekampagne zum Thema „Präventiophobie“ an.

Felix Burda, der Namensgeber der Felix Burda Stiftung, starb am 25. Februar 2001 im Alter von 33 Jahren an Darmkrebs. Seine Mutter Dr. Christa Maar erfüllt seitdem seinen Wunsch, viele Menschen vor dem Schicksal zu bewahren, das er und seine Familie erleiden mussten. (© Felix Burda Stiftung)

Auch der neue immunologische Stuhltest wird bis heute wenig genutzt. Wie könnte man das ändern?
Dr. Christa Maar: Wir haben uns mit der Stiftung viele Jahre dafür eingesetzt, dass mit der Einführung des sensitiveren Stuhltests im Jahr 2016 die persönliche Einladung zur Teilnahme an der Untersuchung verbunden wird. Tatsächlich wurde dann auch im Juli 2019 ein Einladungsverfahren etabliert, doch leider mit der Forderung, sich den Test beim Arzt abzuholen und ihn nach Inanspruchnahme auch wieder dorthin zu bringen. Das bedeutet zwei Wege und zwei Wartezeiten in der Arztpraxis, die nicht sein müssten. Entsprechend gehen Experten davon aus, dass die Teilnahmequote trotz persönlichem Anschreiben kaum höher als 20 Prozent betragen wird. Wie es anders gehen kann, zeigen uns unsere niederländischen Nachbarn. Die Versicherten erhalten zusammen mit dem Einladungsschreiben das Teströhrchen samt vorfrankiertem Rücksende­umschlag zugeschickt. Die Rücksendequote beträgt dort 70 Prozent.

Was müsste außerdem dringend verbessert werden?
Dr. Christa Maar: Berechnungen des Deutschen Krebsforschungszentrums gehen davon aus, dass sich durch die Inanspruchnahme aller bekannten Präventionsmaßnahmen bis zu 70 Prozent der Krebstodesfälle verhindern ließen. Etwa 40 Prozent der Neuerkrankungen von Krebs könnten zudem durch Primärprävention vermieden werden. Dazu zählen Tabak, Alkohol, Fehl­ernährung und Mangel an Bewegung, also Lebensstilfaktoren, die extrem schwer zu beeinflussen sind. Dennoch muss man auch diese Faktoren bei dem Bemühen um eine verbesserte Krebsprävention im Blick haben.

#Präventiophobie
In nur einem Prozent der Vorsorge-­Darmspiegelungen wird tatsächlich Krebs diagnostiziert. Trotzdem haben viele Menschen Angst vor der Untersuchung. Mehr noch: Oft ist die Angst vor der Vorsorge größer als die Angst vorm Darmkrebs selbst. Mit diesem Thema beschäftigt sich die 2020er Kampagne der Felix Burda Stiftung. Den TV-Spot und viele weitere Infos finden Sie unter www.felix-burda-stiftung.de.

Neben dem Felix Burda Award, der sehr bekannt ist, führen Sie zahlreiche weitere Projekte durch. Welches treibt Sie momentan besonders um?
Dr. Christa Maar: Zuletzt hat uns der jährlich wiederkehrende Darmkrebsmonat März beschäftigt, den wir zusammen mit anderen Organisationen 2002 erstmals ausgerufen haben. Ziel ist es, in diesem Monat besonders viel Aufmerksamkeit für das Thema Darmkrebsprävention zu generieren. Unter anderem dafür haben wir das 20 Meter lange begehbare Darm­modell entwickelt, das gegenwärtig im Dauereinsatz ist. Neuerdings gibt es dies auch als Virtual Reality-Modell, das heißt, ohne sich vom Platz zu bewegen, kann man sich mit einer Virtual Reality-Brille durch den begehbaren Darm beamen und alles über Polypen, Krebs und Vorsorge lernen. Daneben beschäftigt mich persönlich auch intensiv die „Nationale Dekade gegen Krebs“, die das Bundesforschungsministerium ausgerufen hat. Der Prävention wird dabei erstmals eine zentrale Rolle zuerkannt. Diese Chance gilt es zu nutzen. Nachdem sich seit Jahren feststellen lässt, dass die Häufigkeit von Darmkrebs aus bisher ungeklärten Gründen bei jungen Menschen beständig ansteigt, haben wir uns in der AG Prävention als eines der ersten Themen vorgenommen, die Gründe hierfür zu untersuchen.

Viele Menschen kennen die teils provokanten Werbespots der Stiftung, die zu mehr Vorsorge aufrufen. Wie wichtig ist die mediale Inszenierung des Themas?
Dr. Christa Maar: Es geht darum, Aufmerksamkeit für ein Thema zu erzeugen, das die Menschen im Alltag nicht auf dem Schirm haben und mit dem sie sich auch nicht gerne beschäftigen. Das heißt, dass man das Thema interessant verpacken und in eine emotionale Erzählung kleiden muss, um eine Resonanz zu erzielen. Dabei gehen die werbliche Inszenierung und die redaktionelle Aufklärung aber Hand in Hand. Beides zusammen, konzentriert auf den Aktionsmonat März, der sich jedes Jahr wiederholt – das ist unser langfristiges Erfolgsmodell.

Frau Dr. Maar, wir bedanken uns für das Gespräch und wünschen Ihnen weiterhin alles Gute.

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