Kinder- und Jugendgesundheit: Warnsignale ernst nehmen

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Ein Jahr Corona-Pandemie liegt hinter uns, die Folgen für die seelische Gesundheit wurden vielfach diskutiert. Auch der Nachwuchs leidet unter den Einschränkungen: Laut der COPSY-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf fühlen sich vier von fünf Kindern zwischen sieben und 17 Jahren belastet. Ein Drittel zeigt sogar depressive Symptome und psychosomatische Beschwerden. apropos wollte wissen, ob die Beobachtungen in der Städte­Region Aachen ähnlich sind, und hat bei Dr. med. Susanne Gilsbach nachgefragt. Sie ist Oberärztin in der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Uniklinik RWTH Aachen.

Frau Dr. Gilsbach, Sie sind Expertin für die seelische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Welche Beobachtungen haben Sie im letzten Jahr gemacht?
Dr. Gilsbach: Wir haben leider die gleichen Beobachtungen gemacht wie die Kolleginnen und Kollegen in Hamburg. Die Kinder, die ambulant oder stationär bei uns aufgenommen wurden und werden, haben für ihr noch so junges Alter bereits mit vielen Ängsten und Belastungen zu kämpfen. Sie sorgen sich um die Gesundheit von Oma und Opa oder um die eigenen Eltern, die aufgrund ihres Jobverlusts vor dem finanziellen Ruin stehen. Viele Kinder sind vom Homeschooling gestresst. Sie wissen nicht, wie sie das alles bewerkstelligen sollen, und fühlen sich überlastet – vor allem da, wo Eltern nicht die Zeit oder das Vermögen haben, ihr Kind zu unterstützen. Besonders schlimm wiegt für die Kinder der reduzierte Kontakt zu Gleichaltrigen. Für die geistige und seelische Entwicklung ist gemeinsame Zeit mit der Peergroup extrem wichtig.

Gibt es auch Kinder, die Angst vor der Schule entwickeln?
Dr. Gilsbach: Ja, auf jeden Fall. Das hat aber nicht nur etwas mit Corona zu tun, das Phänomen tauchte schon vorher auf. Es geht um soziale Ängste, Angst vor negativer Bewertung oder Leistungsängste. Wenn wir Ängste therapieren wollen, funktioniert das nur, wenn man den Betroffenen mit seiner Angst konfrontiert. Das ist allerdings nicht möglich, wenn Schule nicht geregelt stattfinden kann. Je länger Kinder in diesem vagen Zustand leben, desto größer wird die Angst vor der Schule.

Nicht nur die Schule fehlt als Ankerpunkt, auch Sportvereine mussten ihr Angebot über Monate einstellen. Was bedeutet das für die Gesundheit der Kinder?
Dr. Gilsbach: Mit dieser Frage hat man sich schon in früheren Quarantänestudien befasst. Erst einmal muss man feststellen, dass den Kindern der strukturierte Tagesablauf fehlt. Sie gehen sehr spät ins Bett, schlafen lange, verbringen den Tag im Schlafanzug im Bett oder auf der Couch, stopfen regelrecht Süßigkeiten in sich hinein. Und dann fehlt noch der Sport oder generell Bewegung an der frischen Luft. Das ist schlecht für das Herz-Kreislauf-System. Vor allem für Mädchen ist das ein Problem. Die Anzahl an Essstörungen hat massiv zugenommen. Sie können sich nicht mehr über Sport regulieren und hören einfach auf zu essen. Es besteht die Gefahr, schleichend in die Magersucht hineinzurutschen.

Auf welche Warnsignale sollten Eltern achten?
Dr. Gilsbach: Wenn sich Kinder zurückziehen und auch keine Kontakte mehr wahrnehmen, die eigentlich noch möglich wären, sollten Eltern aufhorchen. Das gleiche gilt für vermehrte Aggressionen, die mangels positiver Erlebnisse natürlich vorprogrammiert sind. Hier können Gespräche und gemeinsame Pläne helfen. Eltern sollten ihren Kindern Aufmerksamkeit und Zeit schenken, das kann man nicht oft genug sagen. Sollte sich das Kind selbst verletzen oder das Essen einstellen, empfehle ich Eltern, das unbedingt ernst zu nehmen und sich professionelle Hilfe zu suchen.

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