Krebs, der in den Genen liegt

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Es war ein mutiger Schritt, als Angelina Jolie sich im Mai 2013 dazu entschied, mit ihrer beidseitigen Mastektomie, also der Entfernung der Brustdrüsen, und später mit der Entfernung ihrer Eierstöcke an die Öffentlichkeit zu gehen. Mit dem Eingriff ließ sie die wohl radikalste Vorsorgemethode gegen Krebs über sich ergehen. Der Grund: Sie gehört zu der Gruppe von Frauen, die erblich bedingt unter einem hohen Erkrankungsrisiko leidet. Ihre eigene Mutter war 2007 an Brustkrebs verstorben. Durch ihren öffentlichen Umgang mit dem Thema hat sie dazu beigetragen, genetische Brustkrebs-Vorsorgeuntersuchungen in das Bewusstsein vieler Frauen zu tragen. „Der Angelina-Jolie-Effekt war beachtlich“, erklärt Univ.-Prof. Dr. med. Ingo Kurth, Direktor des Instituts für Humangenetik an der Uniklinik RWTH Aachen. „Wir haben deutschlandweit einen deutlichen Anstieg der Anfragen zum eigenen Brustkrebsrisiko verzeichnet.“ Laut Studien habe sich die Zahl der Nachfragen nach genetischen Tests weltweit mehr als verdoppelt.

Rund fünf bis zehn Prozent aller Krebsfälle sind erblich bedingt.

Rund fünf bis zehn Prozent aller Krebsfälle sind erblich bedingt, schätzen Experten. In vielen Fällen wissen die Betroffenen nichts davon. Indizien für die erbliche Erkrankung sind eine Häufung von Krebs und besonders von gleichen Krebsarten in der Familie und Erkrankungen in jungem Alter unter 40 Jahren. „Es gibt für einige Krebsarten klare Indikationskriterien für eine familiäre Veranlagung. Liegen diese vor, bieten wir einen Gentest an und suchen nach erblichen Mutationen“, erklärt Humanmediziner Prof. Kurth. Dabei ist es immer am sinnvollsten, innerhalb einer Familie zunächst eine betroffene Person zu testen. Findet man eine ursächliche Mutation, wird sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent an die Kinder weitergegeben. Auch diese können dann humangenetisch beraten und gezielt auf die Veränderung getestet werden. Hierbei werden die Ratsuchenden auch mit den Konsequenzen des Test­ergebnisses vertraut gemacht.

Genetische Mutationen als eine Ursache von Tumoren

Mittlerweile kennt man verschiedene erbliche Tumorsyndrome mit jeweils charakteristischen Tumoren und unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit. Liegt beispielsweise eine sogenannte familiäre adenomatöse Polyposis (FAP) vor, bildet sich das Krankheitsbild praktisch immer aus: Die Betroffenen leiden an unzähligen, zunächst gutartigen Schleimhautpolypen im Dickdarm, die sich unbehandelt zu Krebs entwickeln. Eine prophylaktische Entfernung des Dickdarms ist hier in vielen Fällen unvermeidlich. Beim erblichen Darmkrebs ohne Polyposis, genannt hereditäres (erbliches) nonpolypöses Coloncarzinom (HNPCC, Lynch-Syndrom), hingegen liegt die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens an Dickdarmkrebs zu erkranken, ohne präventive Maßnahmen bei 70 Prozent und für Gebärmutterschleimhautkrebs bei 50 Prozent; für weitere Krebsarten – zum Beispiel Magen- und Dünndarmkrebs – ist sie geringer, heißt es auf der Internetseite der Deutschen Krebsgesellschaft. Anlageträger sollten hier ein vorgegebenes, engmaschiges Krebsvorsorgeprogramm wahrnehmen. Zwei der bekanntesten Gene, deren Veränderungen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit Brust- und Eierstockkrebs auslösen, sind das BRCA1- und BRCA2-Gen. „Je nachdem, welche Veränderung in einem dieser Gene vorliegt, beträgt das Risiko, im Laufe des Lebens an Brustkrebs zu erkranken, 60 bis 80 Prozent sowie 30 bis 40 Prozent für Eierstockkrebs“, erklärt Prof. Kurth.

Grundsätzlich ist Krebs immer die Folge einer genetischen Mutation. „Die Zellteilung läuft nie perfekt, Fehler treten immer auf“, weiß der Humangenetiker weiter. „Allerdings spielen diese Fehler bei den rund drei Milliarden Bausteinen der DNA vielfach keine Rolle.“ Das Entscheidende sei, wo und in welchem Umfang das Erbgut geschädigt wird. Sind beispielsweise Tumorsuppressorgene, Onkogene oder Gene, die für die Reparatur der DNA zuständig sind, betroffen, kann nach und nach ein Prozess angeschoben werden, der zu Krebs führt. Doch anders als bei spontanen Mutationen, die durch äußere Einflüsse mitbedingt sind, tragen Betroffene bei erblich bedingten Krebserkrankungen bereits seit Geburt in jeder Körperzelle ein defektes Gen und somit eine Veranlagung für Krebs.

Menschen unterscheiden sich in rund 3,5 Millionen Bausteinen.

Herausforderungen der Humangenetik

Die Identifikation weiterer Genmutationen als Indikatoren für das individuelle Krebsrisiko, aber auch als Grundlage zukünftiger Krebstherapien ist ein großes Ziel der Wissenschaft. Allerdings stehen die Forscher vor einer gewaltigen Aufgabe. 23.000 Gene und weitaus mehr genregulatorische Abschnitte verteilen sich auf die rund drei Milliarden Bausteine der Erbinformation jeder Zelle. Und nicht jeder Mensch ist gleich. In rund 3,5 Millionen Bausteinen unterscheidet sich jeder Mensch vom anderen. Herauszufinden, ob ein Unterschied lediglich ein Körpermerkmal ändert oder die Neigung bedingt, an Krebs zu erkranken, ist mehr als schwierig.

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